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  • AutorenbildEva Katharina

Weltschmerz

Heute morgen hat mich der Winterdienst geweckt. Durch mein gekipptes Fenster huschte die kühle Luft, aber es roch gar nicht nach Schnee. Trotzdem hatte ich dieses Kribbeln, das ich seit meiner Kindheit kenne, wenn ich höre wie die mächtige Schaufel den Schnee vom Asphalt an den Straßenrand schiebt. Es hat geschneit!


Aufgeregt sprang ich vom Bett, schob das Rollo nach unten und tatsächlich, die Hecke vor meinem Fenster war schneebedeckt. Es war nicht viel, man konnte die Kieselsteine unserer Einfahrt noch gut sehen. Aber immerhin, es hat geschneit.

Immerhin. Ein Wort, das so viel sagt wie: Passt schon. Könnte schlimmer seit. Na wenigstens etwas. Und genau das ist der Punkt. Passt es wirklich?


Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, kann ich mich an keinen Winter erinnern, in dem wir um Schnee bangen mussten. An keinen Dezembertag, den wir nicht im selbstgebauten Schneeiglu verbrachten. Dieses Iglu wurde nicht von einer auf die andere Nacht durch einen Föhnsturm zerstört oder schmolz über uns weg, weil es zu warm war. Man wachte nicht eines morgens auf und alles fühlte sich an wie Frühling. Jeder hatte ein Iglu: Ich, meine Schwester, jedes der Nachbarskinder. Und es stand. Den ganzen Winter über. Festgefroren. Eine Höhle nur für mich. Ein Symbol meiner Kindheit.

Was bleibt, ist die Erinnerung an etwas, das nie wieder so sein wird. Jetzt könnte man meinen, ich wäre 100 Jahre alt. Nein, diese Erinnerung liegt gerade mal 15 Jahre zurück. Heute habe ich noch nicht einmal alle Wintersachen vom Dachboden geräumt, weil ich es noch zu warm finde.

Es ist der 9. Dezember.

Der Schnee geht immer mehr zurück, kommt nicht mehr so zuverlässig wie früher, bleibt nicht immer liegen und verschwindet viel früher wieder. Die Winter werden kürzer. Das sagt nicht nur die Forschung, das kann jeder vom Fenster aus beobachten.

Aber was macht das mit uns? Was macht es mit mir? Ist mein Schneeiglu das Symbol für meinen persönlichen Klimawandel, so wie es der Eisbär für die ganze Welt ist? Während ich das schreibe, laufen mir die Tränen auf einmal wie ein Wasserfall über meine Wangen. Kein Witz! Ich glaube, das nennt man Weltschmerz.

Manchmal fühle ich mich wie die Voodoo-Puppe der Erde. Immer wenn Tonnen von Lastern über den Asphalt rollen und es bestialisch nach Abgasen stinkt. Immer, wenn Menschen im Supermarkt billiges Fleisch kaufen, immer wenn Wälder abgeholzt werden. Genau dann tut es in mir weh. Und es ist nicht so, als würde ich mir diese Schmerzen nicht auch manchmal selbst zufügen.

Ich weiß nicht, ob es die Hilflosigkeit ist, Resignation, Depression, Wut oder alles zusammen. Wut auf die Politik und die Wirtschaft, weil nur Geld und Gewinn zählen? Wut auf mich, weil ich nicht noch mehr dagegen unternehme und auch Wut auf mein Umfeld. Weil viele sagen, wir können ja eh nichts tun, weil sie ignorant sind, zu bequem etwas zu ändern oder es ihnen schlichtweg einfach egal ist.

Manchmal würde ich sie am liebsten alle schütteln, die ganze Welt schütteln und fragen: Seht ihr denn nicht hin?

Seht ihr nicht hin, dass der Baikalsees schwindet, unsere Gewässer noch mehr verschmutzen und Arbeiter in Dritte-Welt-Ländern ausgebeutet werden, wenn ihr euch das hundertste Billigteil bei H&M kauft?

Und dann denke ich an mich, weil ich auch Klamotten von H&M trage.

Seht ihr denn nicht hin, dass Regenwälder abgeholzt werden, damit ihr noch mehr noch billigeres Fleisch essen könnt?

Und dann denke ich an mich, die früher auch Fleisch gegessen hat.

Seht ihr denn nicht hin, dass so viel unnötiges CO2 ausgestoßen wird, wenn ihr billig von München nach Berlin fliegt?

Und dann denke ich an meinen Flug von Berlin nach Salzburg.

Seht ihr denn verdammt nochmal nie hin?

Ich habe auch nicht richtig hingesehen.

Jede(r) hat eine Verantwortung, ob man will oder nicht. Alles was wir tun, hat Auswirkungen. Weil wir Menschen sind, weil wir atmen, weil wir leben, weil wir uns fortbewegen, weil wir essen und trinken, weil wir reisen. Und das ist gut. All diese Dinge machen das Leben lebenswert. Auch für mich und ich möchte darauf nicht verzichten. Aber ich frage mich immer mehr, was davon ist wirklich notwendig und wie kann ich mein Leben so gestalten, dass auch die Generationen nach mir noch genau dieses Kribbeln im Bauch spüren, wenn sie den Schneepflug vor ihrem Fenster hören? Was kann ich tun, damit auch meine Kinder noch Iglus bauen, im Meer schwimmen und ohne schlechtes Gewissen die Welt sehen können? Kann ich überhaupt etwas tun?


Ich denke, ja.


Ich denke an die Fridays for Future-Bewegung und daran, dass Teenager jetzt den Erwachsenen erklären müssen, wie die Welt funktionieren kann und sollte. Und das gibt mir Hoffnung. Hoffnung darauf, dass diejenigen die nachkommen, mehr nachdenken als die älteren Generationen.

Und ich denke an mich, an das was ich bisher geschafft habe, weil ich mich informiere, weil ich etwas besser machen möchte. Und ich möchte so gerne, dass das alle tun.

Was wünscht du dir zu Weihnachten? Genau das.

Dass ihr nachdenkt.

Dass ihr eure Kinder aufklärt.

Dass ihr ihnen nicht die Wurst in Bärchenform schmackhaft macht, sondern bewusst konsumiert und ihnen ohne zu lügen erklärt, wie der Kreislauf funktioniert. Und dann können sie entscheiden.

Dass ihr euren Kindern keine rosa Mützen mit Pelzbesatz kauft, weil es süß aussieht.

Dass ihr nicht wahllos konsumiert.

Dass ihr öfter in den Zug steigt als zu fliegen.

Dass ihr die kleinen Dinge schätzt.

Dass ihr mehr Empathie zeigt. Nicht nur für eure Liebsten, sondern für alle Lebewesen und die Natur.

Dass ihr hört, dass ihr fühlt, dass ihr hinseht.

Ich wünsche mir, dass ihr aktiv werdet.


Wenn ich morgens aufwache, die Sonne hinterm Berg hervorkriecht, sich der Himmel rosa färbt, dann weiß ich, das ist Leben. Das ist fühlen. Das ist Schönheit.

Ich schalte mein Handy an und sehe Stories auf Instagram, die genau das festhalten, was ohnehin alle vom eigenen Fenster beobachten können. Ich sehe, wie jeder die Natur feiert, wie sich jeder an kleinen Dingen erfreut.


In jedem von uns steckt doch dieses Gefühl. Dieses Glücksgefühl, beim Sonnenuntergang, dieses Kribbeln, wenn man im Urlaub zum ersten Mal die Zehen in den Sand am Meer steckt.


Genau da spürt man doch, was wirklich wichtig ist.

Ich wünsche mir, dass ihr euch immer an diese Gefühle erinnert, wenn ihr Entscheidungen trefft. Wenn ihr konsumiert, verreist und auch, wenn ihr Kinder habt oder euch dafür entscheidet.


Diesen Satz schreibe ich, weil ich es mich nicht traue, allen meine Freunden mit Kindern genau das so deutlich zu sagen:

Ihr habt euch für ein neues Leben entschieden. Gestaltet euer Leben also so, dass auch eure Kinder noch genau diese Gefühle erleben können. Dass sie sich über Schnee freuen, Mitleid fühlen und bewusste, nachhaltige Entscheidungen treffen. Lügt sie nicht an, wenn ihr ihnen tierische Produkte zu essen gebt, lügt sie nicht an, wenn ihr mit ihnen Klamotten kauft, lügt sie nicht an, wenn ihr verreist und überschüttet sie nicht mit unnötigem Konsum.


Erzieht sie zu bewussten Menschen, die nachdenken und es besser machen als ihr selbst.

Und denkt an Fridays for Future. Erzieht eure Kinder so, dass sie euch immer einen Schritt voraus sind und dann: Hört ihnen zu!

Die Welt ist kein technisches Gerät. Es gibt kein Backup, keinen Restart. Alles was wir tun, bleibt!

Bei diesem Text wurde ich inspiriert von:

Anne Sophie Balzer

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